Grabplatte

Eine Grabplatte aus Everswinkel

Die Kirche St. Magnus in Everswinkel mit romanischem Turm und spätgotischem Langhaus und Chor. (Foto: W. Essling-Wintzer / LWL-Archäologie für Westfalen)

Im spätgotischen Kirchenbau der 1285 urkundlich erstmalig genannten, aber bis auf das 9. Jahrhundert zurückgehenden Pfarrkirche St. Magnus in Everswinkel finden derzeit Arbeiten zur Erneuerung des Fußbodens und Modernisierung der Heizungsanlage statt.


Blick in Richtung Chor. Rechts davor die freigelegte Grabplatte. (Foto: W. Essling-Wintzer / LWL-Archäologie für Westfalen)

Begleitet durch die LWL-Archäologie für Westfalen und die LWL-Denkmalpflege konnte jüngst ein großflächig erhaltener Schmuckfußboden aus Steinzeugfliesen freigelegt werden. Die zu Anfang des 20. Jahrhunderts verlegten und ausnehmend gut erhaltenen Fliesen zeigen im Kirchenschiff geometrische und florale Motive, während die Bedeutung des Sanktuariums durch verschlungene vegetabile Ornamente und vier Evangelistensymbole (von denen leider nur noch die zwei östlichen, Markus und Johannes erhalten sind) hervorgehoben wird. Unmittelbar an den Stufen zum Chor vor der östlichen Stirnwand des südlichen Seitenschiffs verweist eine Aussparung des Fliesenbodens auf den Standort eines ehemals hier gelegenen Altares. Unter dessen hölzernem Podest verbarg sich ein älterer Fußboden aus quadratischen Tonfliesen mit jüngerer Backsteinausbesserung sowie eine in situ liegende Grabplatte. Die Platte aus Baumberger Sandstein ist größtenteils gut erhalten – lediglich ihr nördlicher Rand wurde bei Einbau der Treppenstufen zum Chor Anfang des 20. Jahrhunderts abgeschlagen. Das zum Kirchenschiff hin gelegene Kopfende der Grabplatte ist durch Belaufen stark abgeschliffen.
Grabplatten bilden im archäologischen Befund innerhalb von Kirchen zwar keine Seltenheit, stellen aber dennoch immer wieder ein „Highlight“ dar, da sie in der Regel mit einem dem Zweck und dem Stand der Bestatteten angemessenen handwerklichen Geschick gefertigt wurden und (meist) wesentliche Informationen zum Verstorbenen liefern. Dazu gehört natürlich vor allem dessen Name und das Jahr (eventuell sogar das genaue Datum) des Todes sowie Zusatzinformationen zu Ämtern, Herkunft etc. Das galt sicher auch ursprünglich für den vorliegenden Fall der Grabplatte aus der Kirche zu Everswinkel, unglücklicherweise fehlten hier jedoch zwei wesentliche Informationen: der Name des Verstorbenen und dessen Todesjahr. Eine Entschlüsselung der in Teilen erhaltenen, am Rande der Grabplatte umlaufenden Inschrift sowie die Deutung der vier Einzelwappen und des zentralen Allianzwappens ließen dennoch die Beantwortung der Frage erhoffen, wer sich hier den prominenten Platz in dem ab 1489 erneuerten Kirchenschiff gesichert hatte.


Frühneuzeitlicher Fußboden aus Tonfliesen, Sandsteinplatten und Backsteinen unter dem Steinzeugfliesenboden des frühen 20. Jahrhunderts. In dem frühneuzeitlichen Fußboden waren vormals zwei Grabplatten eingelassen, von denen sich eine erhalten hat. (Foto: W. Essling-Wintzer / LWL-Archäologie für Westfalen)

Die umlaufende, sauber gearbeitete und von zwei parallelen Rillen gefasste Inschrift begann mit einiger Wahrscheinlichkeit ursprünglich in der Nordwestecke der Platte und verlief dann im Uhrzeigersinn um das von ihr eingerahmte Wappenfeld. Erhalten haben sich dabei ein Teilabschnitt des östlichen und wesentliche Teile des südlichen Inschriftenbandes, wobei die Platte auch in ihrer Südostecke einen starken Oberflächenabrieb aufweist. Die erhaltene Inschrift lautet:
„(…)r(e)ßfortt in der G(rafscha)fft Moerse, Erbgesessen zu Langen, dem sehll Gott gnedig sey Am(en)“
Innerhalb der Fläche des durch das Inschriftenband gerahmten Feldes befinden sich die bereits genannten fünf plastisch ausgearbeiteten Wappen mit darunter befindlicher Beschriftung. Mittig findet sich zunächst das große Allianzwappen „EYLL / LANGEN“, deutlicher Hinweis auf den Familiennamen des Bestatteten. Oberhalb dieses Allianzwappens finden sich zur Linken das Wappen des Hauses „EYLL“, welches sich auch als linksseitiger Bestandteil des Allianzwappens wiederfindet, rechtsseitig ein fragmentarisch erhaltenes, stark abgeriebenes Wappenfeld mit den nur schwerlich erkennbaren, darunter befindlichen Buchstaben „VEL(…)“ sowie den senkrechten Balken eines weiteren Buchstabens. Dabei handelt es sich eindeutig um das Wappen des Hauses Velbrüggen.
Auch unterhalb des Allianzwappens ist das linksseitige Wappen des Hauses „MELICH“ mit entsprechender Unterschrift deutlicher zu erkennen, das rechtsseitige, ebenfalls stark abgeriebene Wappen lässt neben Teilen eines Helmes mit Helmbusch und Teilen des Wappenschildes nur die Unterschrift „BROCK(…)“ deutlich erkennen.
In der direkten Verbindung mit dem Kirchstandort ist zunächst der Name „Langen“ als Bestandteil des Allianzwappens von Bedeutung. Das in Everswinkel befindliche Haus Langen war seit ca. 1300 Sitz eines Zweigs der edelfreien Herren von Langen. 1590 kam es (quod erat demonstrandum) an die Herren von Eyll, ging dann an die Familien von Loe, von Tork, von Schenking und gelangte schließlich in den Besitz der Familie Droste-Vischering. Aufgrund des Allianzwappens steht daher zu vermuten, dass der hier Bestattete somit nach 1590 und vor dem Übergang des Adelssitzes an die Familie von Loe verstorben ist.
Was aber sagen die übrigen Wappen auf der Grabplatte aus? Zunächst sollte damit grundsätzlich demonstriert werden, dass der Verstorbene adeliger Herkunft war. Dafür nutzte man natürlich gern die Wappen der näheren Verwandtschaft. Um sich der Person des Verstorbenen anzunähern, bildet daher die Genealogie der abgebildeten Adelshäuser einen wichtigen Schlüssel zur weitergehenden Interpretation. Das Wappen der Familie „Eyll“ steht dabei natürlich für sich, da ein Mitglied der Familie „Eyll / Langen“ aufgrund der Erstnennung „Eylls“ zwangsläufig dieser Familie entstammen muss. Entscheidend ist somit, welchen kausalen Zusammenhang die anderen Wappen mit dem Allianzwappen des Verstorbenen haben.


Die Sybert von Eyll zu Langen zugeordnete Grabplatte in der Aufsicht (Foto: W. Essling-Wintzer / LWL-Archäologie für Westfalen)

Der Familienname „Melich“ ist in diesem Zusammenhang vergleichsweise einfach mit der Familie „Eyll“ in Verbindung zu bringen. Wichtig ist hier ein gewisser Heinrich von Melich, Herr zu Tüschenbroich. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts ehelichte dieser eine Adelheid von Barrich / Balderich, mit der er mehrere Töchter hatte, von denen wiederum eine, Bela genannt, 1473 einen Syvart von Eyll heiratete. Aus dieser Ehe ging wiederum ein Caspar von Eyll hervor, der eine gewisse Elisabeth von Velbrüggen heiratete.
Allein dadurch sind nun drei der abgebildeten Wappen in einen engeren Zusammenhang gebracht. Die oberhalb des Allianzwappens befindlichen Wappen „Eyll“ und „Velbrüggen“ symbolisieren die Familienzweige der jeweiligen Elternteile des Verstorbenen, die unteren Wappen scheinen wiederum auf die Großeltern hinzudeuten, wobei mit dem „Melich“-Wappen zumindest ein Zweig sicher identifiziert werden kann.
Der hier Bestattete dürfte somit ein Nachkomme der Ehe Caspars mit Elisabeth sein. „Leider“ hatten die Beiden aber gleich drei sicher nachweisbare Söhne: zunächst Bernard von Eyll, dann einen gewissen Sybert von Eyll zu Langen und schließlich Reynart von Eyll zu Lauersforth. Sybert scheint dabei allein vom Namen her natürlich der heißeste Kandidat zu sein, dennoch gilt es, die anderen beiden auszuschließen. Wichtig ist dabei vor allem der genannte Übergang des Hauses Langen an die Familie „Eyll“ 1590.
Bernard von Eyll ist relativ leicht auszuschließen. Dieser heiratete 1561 Elisabeth von Buyren, welche wiederum Mitte der 1570er Jahre in den Quellen als Witwe desselben in Erscheinung tritt. Damit war Bernard bereits tot, als Haus Langen in den Besitz der Familie Eyll gelangte. Seine Töchter heirateten in andere Familien ein, scheiden somit ebenfalls aus.
Reynart von Eyll zu Lauersforth scheint auf den ersten Blick ebenfalls auszuscheiden, jedoch irritiert in diesem Zusammenhang der Beginn der überlieferten Inschrift auf der Grabplatte: „(…)r(e)ßfortt in der G(rafscha)fft Moerse“. Tatsächlich gibt es nämlich in der vormaligen Grafschaft Moers einen Adelssitz namens Lauersfort. Liegt hier aufgrund dieser (im wahrsten Sinne des Wortes) „Randnotiz“ also vielleicht doch Reynart begraben? Auch hier lautet die Antwort klar: nein. Reynart stirbt 1590 und damit im Jahr des Überganges an seine Familie. Lauersfort geht an seine Erbtochter Katharina.
Bleibt also Sybert von Eyll, dessen Namenszusatz „zu Langen“ bereits andeutet, dass hier diesbezüglich der (auch im wahrsten Sinne des Wortes) „naheliegende“ Kandidat ruhen dürfte. Sybert führte nämlich nicht nur den Familiennamen „Eyll“ und seinen Sitz „Langen“ im Namen, sondern er lebte auch 1590 noch und starb erst kurz nach 1600. Ferner finden sich neben dem Allianzwappen mindestens drei weitere Wappen, welche seine verwandtschaftlichen Bezüge zu den direkten adeligen Vorfahren zeigen: „Eyll“, „Melich“ und „Velbrüggen“, außerdem besteht ein familiärer Bezug zu „(…)r(e)ßfortt in der G(rafscha)fft Moerse“. Und nicht zuletzt passt auch die Gestaltung der Grabplatte selbst in die Zeit um 1600.
Aber wie sieht es mit seinen potentiellen Nachkommen aus? Belegt ist zwar eine gewisse Anna von Eyll, welche Johann von Loe zu Holte heiratete. Dieser taucht in einer Urkunde von 1608 aber bereits mit dem Namenszusatz „von Loe zu Holte und Langen“ auf. Sowohl Anna als auch Johann hätten somit ein anderes Allianzwappen gehabt. Die Namenskombination „Eyll / Langen“ ist also offensichtlich nach dem Ableben Syberts Geschichte.
Somit dürfte nach gegenwärtigem Arbeitsstand (zumindest mit einiger Sicherheit) unter der Grabplatte von Everswinkel besagter Sybert von Eyll zu Langen bestattet sein. Aufgrund der Lage in situ ist davon auszugehen, dass dem auch immer noch so ist.

Autoren: Kim Wegener / Wolfram Essling-Wintzer

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der LWL-Archäologie für Westfalen


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