Kirche ohne Kirche. Impulse für die Zeit größerer Distanz – jeden Tag neu!

Karfreitag, 10. April

„Karfreitag ist abgesagt!?“

Als Kind habe ich den Karfreitag seltsam in Erinnerung. Am liebsten hätte ich diesen Tag übersprungen. In unserer Großfamilie wurde streng gefastet, der Großvater war mürrisch, weil er auf das Rauchen verzichtete, man hörte das Glockengeläut nicht, die Lieder der Karfreitagsliturgie waren traurig und ohne Orgel. Die Trostlosigkeit und das Leiden schlugen aufs Gemüt. Es erfasste die ganze Familie und das öffentliche Leben.

Der Karfreitag ist heute natürlich nicht abgesagt. In vielen Kirchen wird auch ohne Gottesdienstbesucher an das Leiden unseres Herrn Jesus Christus  erinnert. Der Kreuzweg Jesu konfrontiert uns unerbittlich mit dem, was wir am liebsten aus unserem Leben verbannen würden. Die Coronapandemie zeigt uns derzeitig das Leid und die Trostlosigkeit der Menschheit. In diesen Tagen können wir das eigene Leid nicht überspielen, wir können unsere Ohnmacht hinsichtlich der weltweiten Erkrankten und Toten nicht verdrängen. Denn alles, was ist, will wahrgenommen werden. Jedes Gefühl hat seine Berechtigung. So auch das Leid. Wenn wir uns gestatten, das Leid, die Hoffnungslosigkeit achtsam wahrzunehmen und bereit sind, den Schmerz zu fühlen, kann unser Leben eine Neuausrichtung erfahren.

Betrachten wir die Leidensgeschichte Jesu, blicken wir heute auf das Leid in der Welt, so befinden wir uns in der Corona- Krise auch in einer Art Grabesruhe. Wir haben uns von unseren Alltagsgewohnheiten verabschieden müssen und harren nun der Dinge, die auf uns zukommen, manchmal ängstlich und in zunehmendem Maße sehnsüchtig. Wir können die Zeit nutzen, um uns auszurichten, das Wesentliche in den Blick zu nehmen, der Schöpfung Erholung zu gönnen, menschliche Solidarität neu zu entwickeln oder wieder aufleben zu lassen.

Gestatten wir uns, über das Schmerzliche in unserem Leben aufrichtig zu trauern, das Leiden wahrzunehmen, Abschied und Tod, Grabesruhe und Niedergeschlagenheit zu verinnerlichen. Beim Betrachten eines Kreuzes können wir uns vertikal auf Gott ausrichten und horizontal auf die Mitmenschen.

Auch wenn alle liturgischen Feiern in den Kirchen abgesagt sind, der Karfreitag ist nicht abgesagt. Abgesagt sind auch nicht Trost, Liebe, Solidarität, Freundlichkeit, Gespräche, Hoffnung und Beten.

Hubert Wernsmann, Diakon

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